Bericht Seminarleitung 1. Lehrjahr – Juni 2020

945 360 Biodynamische Ausbildung

Die Klasse ist ins 1. Ausbildungsjahr gestartet…

naja sie stolperte eher merkwürdig in diese Ausbildung.

Die Auszubildenden starteten als 2. Klasse, die diese Ausbildung in neuem Mantel beginnt.

Und damit mir dieser neue Beginn gut gelingt und ich nicht in alte Muster verfalle, spiele ich gerne mit den Begriffen: Lehrling – Auszubildende*r, Lehrmeister – Ausbilder*in und Ausbildende*r, Lehrlingstreffen – Seminar, Lehrjahr – Klasse. Ist der Lehrling eine Person, die eine Lehre erteilt bekommt oder eine lernende Person, also ein, aus sich heraus, lernender „Lernling“? Und wer bildet wen eigentlich aus? Die Ausbilder die Auszubildenden, die es eben gilt aus-zu-bilden? Oder bilden nicht auch die Auszubildenden die Ausbilder aus? Oder bilden nicht eigentlich vielmehr die Seminaristen sich selbst aus? Und außerdem: wer muss hier denn noch gebildet werden, wir sind alle gebildete Erwachsene!

Wie alles begann…

Zur Jahresfeier sollten alle von einer großen Ausbildungsgemeinschaft empfangen werden und mit Schwung in ihr erstes Seminar geschickt werden. Da ich als Seminarleiterin des 4. Jahres bei den Vorbereitungen der Feier anwesend war, bekam ich die akute Stimmungslage: Corona ist in NRW! mit. Ein heftiger Moment für das abschließende 4. Lehrjahr. Und dann wurde diskutiert… Für mich war dies eine unglaublich wertvolle Diskussion, die mich weiterhin begleitete, denn sie zeigte die einzelnen und vielseitigen Stimmungen, Meinungen und Sorgen, die bis heute eine enorme Relevanz haben für die Gesellschaft. Dazu später ein paar Worte.

…und dann wurde entschieden, die Jahresfeier in dem Rahmen abzusagen. Uff! Also verbrachte ich unmittelbar 2 Stunden damit alle Auszubildenden anzurufen. Und so lernten wir uns als Klasse kennen: ein Anruf und die Worte, dass keine Jahresfeier stattfinden wird und sie bitte morgen nicht kommen! Das glich durchaus einem Schockmoment: von außen so jäh ausgebremst zu werden.

Erst in den Tagen danach realisierte ich, was eigentlich geschah und was um mich herum passierte. Eine euphorische Vorfreude auf die Menschen, den Ausbildungsbeginn und das erste Seminar sind in einem Moment zerplatzten. In den Tagen und Wochen danach setzte sich alles langsam, und wir gewöhnten uns im kleinen Initiativkreis an diese neue Situation. Dieser Zustand blieb jedoch bis heute zum Teil bestehen, denn wir müssen uns wöchentlich an neue Situationen gewöhnen, sei es durch neue Regelungen in der Republik, im Bundesland oder im Landkreis, das Verstehen der Regelungen, Erkennen wie die Regeln im privaten und öffentlichen Raum umgesetzt werden. Planen ist schwierig, aber erforderlich, und Entscheidungen kann man nur für den Moment treffen.

Mit Telephonaten mit Auszubildenden und Ausbildern versuchte ich einen Eindruck zu gewinnen, wie es der Klasse ergeht in dieser Zeit. Ich habe die meisten in den Einzelgesprächen kennengelernt – das war sehr wertvoll. Ein Gruppenbild konnte ich aber so nicht bekommen.

Die Auszubildenden bekamen zunächst per Mail Informationen zugesendet, so dass sie mit dem Berichtsheft starten konnten, und einen Fragebogen zu dem Thema wie sie ihre Ausbildung gestalten wollen. Es sollte ihnen etwas klarer werden: Was will ich? Wo will ich hin? Und wie kann ich das in dieser Ausbildung umsetzten? Und was bietet mir diese Ausbildung eben auch nicht?

Bürokratischer Aufwand war es vor allem im März, die neuen Verträge postalisch abzuwickeln. Die neuen Verträge sind super und wir haben in den letzten Jahren schon sehr viel geschafft. Sie sollten aber im Prozess bleiben. Auch ist es immer wieder eine Aufgabe sich die Inhalte des Vertrages bewusst zu machen und zu ermöglichen, dass diese auf den Betrieben umgesetzt werden.

Ende März entstand dann unsere Photo.pdf: „Die Klasse stellt sich vor“, so dass wir ein Bild voneinander bekamen. Zum Aprilbeginn trafen wir uns zu einer ersten Telephonkonferenz, die als klassische „Höferunde“ zum Erfahrungsaustausch mit dem Schwerpunkt: „Wie läuft’s für mich auf dem Betrieb?“ diente.

Die Berichtshefte, Ausbildungsausweise, Bücher aus den Schultüten („Was ist biologisch-dynamische Landwirtschaft?“ und „Die praktische Ausbildung des Denkens“) und weitere Texte zum Lesen bekamen die Auszubildenden dann Anfang April zugesendet.

Anfang Mai hielten wir eine 2. Telephonkonferenz mit dem Schwerpunkt: Lehrlingsabende und Lernzeiten auf meinem Betrieb. Im Anschluss bekam die Klasse per Mail einige viele Aufgaben für den Monat. Schwerpunkt lag bei dem Berichtsheft und weiteren Texten. Zudem bereitete ich zu allen bisherig gestellten Aufgaben Fragen und Antworten vor, womit sich die Auszubildenden Ende Mai selbst testen oder wesentliche Inhalte reflektieren konnten.

…aber es fehlte an Austausch und Begegnung, um ein Gefühl für die Ausbildung zu bekommen und besser einschätzen zu können: „Was wird hier eigentlich in welcher Form von mir erwartet?“

Und für mich als Seminarleiterin fehlte durch den Austausch und die Begegnung mitzubekommen, wo der Einzelne und die Klasse stehen und wo es Fragen gibt und wo kleine Wegweiser gesetzt werden müssen.

Das erste Seminar…

Anfang Juni war es dann soweit, wir durften uns als erstes Lehrjahr der Ausbildung unter diesen Umständen treffen und ein Seminar auf dem Birkenhof erleben. Unser erstes Seminar!!! Luise Holzapfel, Eckhard Jungclausen und ich begrüßten die Auszubildenden und konnten endlich die Schultüten überreichen.

eim Erfahrungsaustausch am ersten Abend:

 

Wir stiegen direkt in die Seminarabfolge ein und erlebten das Seminar, was das jetzige 2. Lehrjahr vor genau einem Jahr gehabt hatte. Inhaltlich ging es um die Einführung in die Rinderhaltung (Milchvieh), Freilandschweinehaltung, BWL mit Schwerpunkt: Verträge und Lohnabrechnung sowie Legehennenhaltung und Direktkostenberechnung.

Die Umsetzung des Hygieneplanes auf dem Seminar war eine Herausforderung für alle und für alle auf sehr individuelle Art und Weise. Es ist halt alles etwas schräg!

Und wie geht man damit um?

„sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“ Dalai Lama (aus: Erziehungskunst 04/20) Für mich ist DAS diese Ausbildung, und vielleicht geht es dem ein oder anderen aus meiner Klasse ja auch so… Und was wünscht Du Dir, liebe*r Leser*in, für eine Veränderung für diese Welt? Und wie kannst Du diese Veränderung sein?

Ein ökologisches Bewusstsein wünsche ich mir für die Welt und ein respektvollen Umgang miteinander; ein Bewusstsein für die Verantwortung, die wir tragen für alle folgenden Generationen und für unsere Mitmenschen. Wie kann ich meinen Boden beackern, Tiere züchten, Saatgut haben, damit auch in sieben Generationen Menschen fruchtbare Böden, robuste Rassen und Sorten haben? Wie kann ich Handeln, so dass ich die Veränderung fördere, dass unsere Systeme nicht so leicht angreifbar werden und ins Wanken geraten?

Ich, allein, bin verantwortlich für mein Handeln. Mein Handeln betrifft alle Menschen dieser Erde.

Ich allein sende ein Signal welches Fleisch ich kaufe. Der Ladenmitarbeiter allein ist verantwortlich dass es in der Theke liegt. Die Ladenbesitzerin ist allein verantwortlich welches Fleisch in der Theke liegen wird, der Mitarbeiter vom Großhändler …, die Großhändlerin entscheidet …, das Logistikunternehmen …, der Schlachthofvertriebsmanager, die Schlachthofmitarbeiterin, der Schlachthofchef, der regionale Schlachter, die Landwirtin entscheidet wie sie die Tiere hält, der Berater empfiehlt wie viele Tiere zuhalten rentabel ist, das Futterunternehmen …

Wir alle gemeinsam und jeder Einzelne tragen die Verantwortung. Und die gesamte Menschheit muss gerade lernen sich für seinen Nachbarn anders zu verhalten, ob man ihn kennt oder nicht, ob man ihn mag oder nicht, ob man die Regel hinterfragt oder nicht und ob man sie versteht oder für nicht richtig hält. Respektieren sollte man die Regeln jedenfalls, für den Anderen. ICH ziehe mir einen Mundschutz an, um meinen Nachbarn zu schützen. Die Motivation kann unterschiedlichster Art sein, ob ich eine Infektionskette unterbrechen möchte oder die Maske trage weil ich die Ängste einzelner Mitmenschen respektiere oder einfach kein Bußgeld bezahlen will. Aber die Gedanken gehen in die Richtung, dass mein Handeln konkret meine Mitmenschen betrifft.

So gab es auf dem Seminar ein Aha-Erlebnisse in der Klasse, als eine Person sagt: wenn wir uns hier nicht an die Regeln halten, kann ich vom Betrieb her nicht zum nächsten Seminar kommen. In dem Moment ist die Verantwortung jedem Einzelnen klar, die er trägt für den Anderen.

Für mich steht die Gesellschaft dieser Erde jetzt vor einer Herausforderung, die bitter nötig ist: zu lernen seine Mitmenschen zu respektieren und dazu gehört auch die Ängste Einzelner zu berücksichtigen. Ein „auf sich bezogenes“-Verhalten ist gerade in keinem Falle dran, genauso wenig wie in der Masse mitzulaufen. Und die Menschen werden sich hoffentlich ein kleinwenig bewusster ihrer Verantwortung für ihr Handeln sei’s zum Thema Covid oder unserem Lebensmittelkonsum. Die Auswirkung ist schließlich enorm, aber eben nicht direkt ersichtlich…

Zum Schluss sei gesagt,

…dass noch immer auf den Seminaren herzliche Umarmungen fehlen, sowie an die Hände fassen, tanzen und singen, obwohl die inneren Stimmungen in den Augen zu sehen sind. Wir müssen halt nun HINSCHAUEN lernen. Und die Gemeinsamkeit entsteht trotzdem, aber losgelöste Fröhlichkeit und Ausgelassenheit vermisse ich sehr für die Klasse – die euphorische Phase gerade zu Beginn einer Ausbildung wurde und wird doch sehr gedämpft.

Lena aus dem Münsterland

Lena Dorprigter, Seminarleiterin 1. Lehrjahr der biodynamische Ausbildung im Westen