Mittendrin in der Natur
„…Alle diese Dinge muss man lebendig im persönlichen Verhältnis eigentlich haben, dann steckt man drinnen in der wirklichen Natur..“
Rudolf Steiner, GA 327
Drinnen, in der wirklichen Natur zu sein, bedeutet, die Natur innerlich zu erleben. Es heißt nicht nur, Naturgesetze zu analysieren, Funktion zu suchen oder Begriffe zu entwickeln. Es braucht seelisch aktiv zu werden – die Schönheit wahrzunehmen oder ihren Rhythmus zu fühlen. Wenn ich den anderen Menschen verstehen möchte, muss ich ihn erstmal hören können, ich muss ihn wirklich lernen zu sehen. Das heißt, meine Vorstellungen erstmal beseitigen, so dass ich ungestört das Neue wahrnehmen kann, was sich von dem gegenüberstehenden Menschen gerade offenbart. Es sind eigentlich nicht nur die Wörter, die zu mir sprechen, sondern auch das, was sich hinter den Zeilen hören lässt. Feine Gestik, Mimik, Körperhaltung und das alles, was der Mensch fast unbewusst macht, kann uns manchmal viel mehr sagen. Es spricht ganz unmittelbar und oft klarer als die Wörter selbst.
Wer diese Sprache lernen mag, kann von dem Wahren des Menschen viel mehr erfahren.
Ähnlich kann man es eben mit der Natur versuchen, in dem man ihre Gestik wahrnehmen lernt und darüber auch ein tieferes Verständnis entwickeln kann. Es sind die Formen einer Landschaft, Pflanze oder einem Tier, welche uns zuerst ansprechen. Weiter können in Betracht die Bewegungen und Rhythmen kommen, zum Beispiel wie sich der Jahresrhythmus in der konkreten Landschaft offenbart. Man kann seine Wahrnehmungen schulen und mit der Zeit dafür einen tiefen Sinn entwickeln. Es gibt eine Geschichte, wie J.W. Goethe mit einem Freund eines Morgens beim geöffneten Fenster steht und den Himmel und Wolken beobachtet. Nach einer Weile sagte Goethe seinem Freund mit einer absoluten Sicherheit, dass es irgendwo ein Erdbeben gestern sein musste. Und dies wurde tatsächlich später bestätigt. J.W. Goethe war ein Meister in der Betrachtung der Phänomene. Menschen der früheren Zeiten haben die Erde als Lebewesen wahrgenommen. In unterschiedlichsten Kulturen gibt es Benennung dieses Wesens: indianische Pachamama, indische Sita, römische Tellus bzw. Terra, germanische Nerthus, griechische Gaia oder europäische Natura. Interessanterweise findet man bei diesen Göttes- Wesen überall die gleichen Attribute, obwohl sich diese Kulturen zeitlich oder räumlich nicht beeinflussen konnten. Dabei wird es einem deutlich, dass diese Kulturen eigentlich das gleiche Wesen beschreiben und in der Mythologie über ihre Begegnung wunderschöne Legenden und Geschichten erzählen.
Auf unserer Exkursion haben wir die Natur auf verschiedenster Weise wahrgenommen. Fühlt euch eingeladen, einige unsere Begegnungen durch diesen Bericht mitzuerleben.
Jiří Prachař, Seminarleiter des 3. Lehrjahr
Ein Tag auf dem Gletscher
Auf Fahrt zum Gletscher haben wir einen kurzen Stopp an den Erdpyramiden von Euseigne eingelegt, um ein kurzes Referat über die Entstehung zu hören und das Naturphänomen mit eigenen Augen zu bewundern. Diese riesigen Felsbrocken auf natürlich entstandenem Beton. Da haben wir schon einen Eindruck von den Massen und Kräften eines Gletschers bekommen.
Dann ging es weiter zum Mont-Miné-Gletscher. Nach einer kurzen Wanderung konnten wir das Eis bereits sehen, mussten uns aber noch gedulden weiterzulaufen, da wir ja nicht nur zum Spaß dort waren. Wir schauten uns den Boden und seine Entwicklungsstufen an, von der Bergspitze bis runter zu unseren Füßen und dank Dagmars Klappspaten konnten wir richtig eintauchen.
Als wir dann Zeit hatten die Gegend zu erkunden, ist ein Teil der Gruppe das Geröll hochgeklettert. Nach einer dreiviertel Stunde standen wir dann in kurzen Klamotten auf dem Eis und haben eine Sommerschneeballschlacht gemachten, da hatten wir alle, samt Seminarleiter, unseren Spaß. Der Rückweg führte für ein paar Erkundungsfreudige dann noch durch den eiskalten Gletscherfluss, da waren sie dann doch froh um die 35*C. Nicht nur der reißende Fluss, die wunderschönen Blumen und die glitzernden Schluff Ablagerungen waren faszinierend, sondern auch die Jahresmarkierungen des Gletscherrückgangs. Da er in den letzten 25 Jahren um 600m kürzer wurde und von seinem Nährgebiet getrennt ist, wird er bald ganz verschwunden sein. Dann wird es auch kein Gletscherfluss mehr geben, der ins Tal fließt… Also ein wunderschöner Tag, an dem man zwangsweise an die Folgen des Klimawandels denken muss.
Ida Wassilew
Gedicht
Alles begann in der Dunkelheit,
nicht nur die Farben auch das Bewusste sein
doch ohne Licht geht das? Nein…
Herzerwärmend der Sinne wiederkehrend
Wenn die Sonne spricht;
Strahl für Strahl und Schein für Schein,
etwas Regen sie zerbricht
und Sieben Farben sich verein,
so sieht man hoch am Himmel oben
den Regenbogen frei,
um ihn rum manch Wolken toben
der Wind verweht die Zeit…
alles geht im Kreis
Léo Dicacio & Sebastian Haase
Bodenkunde in der Schweiz
Wir hatten die großartige Gelegenheit, das umfassende und spannende Thema „Bodenentstehung und Bodenentwicklung“ im Alpenraum, konkret in der Schweiz, als Themenschwerpunkt erarbeiten zu können. „Warum ausgerechnet in der Schweiz?“ wird vielleicht der eine oder andere fragen, dieses Thema kann man doch ganz hervorragend auch bei uns in NRW durchnehmen und vertiefen! Ja natürlich, ohne Zweifel! Aber in einem Punkt bieten die Alpenländer einen erdgeschichtlichen Einblick, den wir in dieser Aktualität bei uns denn doch nicht finden können: das aktuelle Ende der Eiszeit! Das war für uns Alle wohl eines der eindrücklichsten Erlebnisse, als wir am dritten Tag, nach gründlicher theoretischer Vorbereitung, früh morgens mit den Autos zu unserer großen Exkursion ins Wallis aufbrachen, den Jura hinter uns lassend und mit den schneebedeckten Gipfeln des Hochgebirges am Horizont durch das wellige Schweizer Mittelland fahrend, vorbei am Genfer See in das gigantische Rhône Tal einmündend, in Sion in steilen Serpentinen das grandiose Naturdenkmal der Erdpyramiden von Euseigne passierend, immer höher und tiefer in das inneralpine Trockental Val d ́Hérens vordrangen und schließlich zu Fuß auf über 2000 m üNN in überwältigender Gebirgskulisse die Endmoräne des Gletschers Mont Miné erreichten! Diese Endmoräne hat der Gletscher 1990 bei seinem letzten Vorstoß zurückgelassen. Seither ist er Jahr für Jahr, mit kurzzeitigen kleinen Vorstößen, wovon kleinere Endmoränenzüge im hinteren Bereich zeugen, mittlerweile um 800 m zurückgegangen, einer der vielen sterbenden Gletscher, der inzwischen von seinem Nährgebiet getrennt ist.
Das Beeindruckende war nun, dass wir hier quasi in Miniatur in einer Landschaft standen, wie sie nach dem Rückzug der Gletscher zum Ende der letzten Eiszeit vor etwa 12 – 10.000 Jahren im 4gesamten norddeutschen Raum vorzufinden war: eine wellige Landschaft mit weitverzweigten Gletscherflüssen, ausgehobelten Mulden mit Seen, mal vom Wasserzufluss abgetrennt mit ausgeprägten Tonablagerungen im ruhigen Gewässer, mal mit starker Strömung durchflossen und grober Gesteinssortierung, Überschwemmungsbereichen, Sanderflächen, Grund- und Endmoränen mit den typischen Geschiebelehmen, großen und kleineren Findlingen, abgehobelten runden Felsen…
Was wir natürlich nicht finden konnten war die für weite Teile Deutschlands prägende Lößüberlagerung. Diese konnten wir auf der Hinfahrt in die Schweiz ausführlich und eindrucksvoll in den bis zu 15 m tief eingeschnittenen Lößhohlwegen im Kaiserstuhl bestaunen. Aber der kalte Fallwind des Gletschers, der neben anderen Starkwindereignissen die feinen, schluffkorngroßen Mineralpartikel bei Trockenheit ins Landesinnere verfrachtet (Löß), blies uns kräftig um die Ohren.
So konnten wir hier aktuell erfahren, wie die verschiedenen Landschaftsausprägungen des gesamten norddeutschen Raums einschließlich weiter Teile NRW ́s, wenn man die vorletzte Eiszeit miteinbezieht, entstanden sind. Vom methodischen her wäre es am schönsten gewesen, wenn wir gleich am Anfang hierher hätten fahren können, um zunächst erlebend und aufmerksam beobachtend in die Landschaft einzutauchen, um aus der aktuellen Erfahrung die entsprechenden Zusammenhänge und Begriffe zur Entstehung dieser Landschaft (einschließlich ihrer Geologie) sowie ihrer Landschaftselemente zu entwickeln. Nur, dafür hätten wir vor Ort zwei volle Tage gebraucht.
Aber auch so wurden uns die zuerst theoretisch erarbeiteten Begriffe zum unvergesslichen Erlebnis.
Wir hatten natürlich einen Klappspaten dabei und haben an mehreren Stellen gegraben, um uns Aufschluss über die Bodenentwicklung zu verschaffen. Im unteren Randbereich des Flusssystems mit spärlichem Pflanzenbewuchs und saisonaler Überschwemmung konnten wir, vergleichbar mit den Marschen an der Nordsee oder den Sanderflächen weiter Teile Norddeutschlands, die dünnen Sedimentschichten sehen, die typischerweise mal sandiger, mal schluffiger, mal mehr mal weniger oder auch gar nicht von Humus durchsetzt waren und in der wechselfeuchten oberen Zone eindrücklich die typische Eisenmarmorierung wasserführender und staunasser Böden zeigte.
5Nur ein paar Meter weiter in den nicht mehr überschwemmten Bereichen und mit zunehmendem Pflanzenbewuchs konnten wir verfolgen, wie der humose Oberbodenhorizont an Mächtigkeit zunahm und zunehmend fruchtbarer wurde. Weiter oben im Bereich der Lateralmoräne an der Flanke des Dent de Veisivi konnten wir, abhängig vom Rückzug des Gletschereises, die Pflanzensukzession studieren und auch genau ausmachen, in welchen Bereichen die Pflanzen durch Wasserabfluss besser versorgt waren und daher üppiger wuchsen.
Dieser Ort ist geradezu ein Eldorado, um sich die Zusammenhänge zwischen den Faktoren Ausgangsgestein, Relief, Flora, Fauna, Wasserhaushalt, Klima, Zeit und Mensch (letzterer weiter unten im bewirtschafteten Tal) für die Bodenentstehung und -entwicklung klar zu machen.
Jetzt konnten wir die Geländeformen des Schweizer Mittellandes, welches wir auf der Rückfahrt abermals durchquerten und welches durch die Eiszeiten geformt wurde, wirklich begreifen und die beiden herrlichen Seen (Neuenburger und Bieler See), zwischen welchen wir in Ins wohnten, bekamen ein ganz reales Entstehungsgesicht.
Ebenso war es uns nun aus der Sache heraus verständlich, dass sich in den von Gletschern ausgeschürften Senken rund um Ins weitflächig Niedermoore entwickelt haben, die, inzwischen größtenteils entwässert, für den intensiven Gartenbau genutzt werden. Bei unserem Besuch des Gartenbaubetriebes Bioleguma in Kerzers, welcher einen Großteil seiner Flächen im sogenannten Großen Moos hat, konnten wir in beeindruckender Weise Moorboden studieren und den Standort durch synchrones Hüpfen zum Schwingen bringen.
6Da der Betrieb dem Verband BioSuisse angehört und auch als reiner Gemüsebaubetrieb zur Tierhaltung mit Futterbau und Kompostwirtschaft verpflichtet ist, kann man davon ausgehen, dass die Moorbodenstandorte relativ nachhaltig bewirtschaftet werden, aber insbesondere in den Randbereichen unter konventionellem Intensivgemüseanbau konnten wir die fatalen Folgen der Übernutzung beobachten: weitflächige Bereiche, in welchen der Moorboden bereits „verheizt“ worden ist, und der Anbau auf dem weitgehend humusfreien Unterboden nur über hohen Mineraldüngereinsatz gepuscht wird.
Ganz andere Standortverhältnisse fanden wir bei unserem Betriebsbesuch in L’AUBIER vor. Der Betrieb liegt unweit von Neuchâtel am östlichen Rand des Jura rund 320 m oberhalb des Neuenburger Sees. Die Landschaft ist stark hügelig mit schon wesentlich steileren Hängen als im Mittelland. Auf unserem Rundgang über die Getreide- und Gemüsefelder in den flacheren Tallagen fielen uns sofort die zahlreichen runden Steine auf, die dort in verschiedenen Größen im und auf dem Boden zu finden sind und deren Gesteinsvielfalt wir während unserer Jäteaktion ausführlich studieren konnten . Auch hier wurde die Landschaft von den Gletschern der letzten Kaltzeit überformt und ließen einen typischen Geschiebelehm zurück. Als Bodentyp fanden wir eine Braunerde vor.
In den steileren Bereichen, die vornehmlich als Grünland genutzt werden, haben sich mehr oder weniger flachgründige Verwitterungsböden aus dem anstehenden Kalkstein entwickelt. Besonders ausführlich begegneten wir diesen humosen, oft sehr flachgründigen Kalkverwitterungsböden mit ihrer nutzungsbedingten wunderbaren Kräuter- und Blumenvielfalt auf unserem Spaziergang zum Mont Racine (1439 m üNN), der nicht weit von L’AUBIER entfernt auf einem der vordersten Ketten 7des Jura liegt. Schön war es hier, inmitten der Blütenvielfalt, doch noch eine Vielfalt und eine gewisse Fülle an Insekten vorzufinden. Und der Landschaftscharakter war wieder ein völlig anderer: trotz der Karkheit hatten die Hochebenen und Täler mit ausgedehnten Weideflächen, einzelnen Bäumen, Wäldern, mit den Gehöften und Dörfchen einen lieblichen Charakter. Ein Ort, der mit dem herrlichen Weitblick über die Seen und das Mittelland bis zu den Alpen, zum Verweilen einlud.
Während unserer vielfältigen Ausflüge konnten wir, neben den herrlichen Landschaftserlebnissen, sehr anschaulich studieren, wie unterschiedlich sich die Böden in ihrer jeweiligen Landschaft und unter den jeweils ganz spezifischen Ausgangsbedingungen entwickelt haben und wie verschieden die daraus resultierenden Nutzungspotenziale der einzelnen Bodenstandorte sind.
Ein recht aufschreckendes Erlebnis wollen wir noch am Schluss berichten. Wir hatten ja für unsere Unternehmungen das Glück, dass wir durchgängig sonniges Wetter hatten. Allerdings hatten wir nicht nur „gutes“ Wetter, sondern waren genau während einer der großen Hitzewellen dieses Sommers unterwegs und es war überall zu sehen, dass das Wasser mangelte. In Ins allerdings stehen an jeder Straßenecke Brunnen, die Tag und Nacht munter vor sich hin sprudeln. So auch bei uns am Schlössli im Innenhof und an der Straße zu den Unterkünften, wo wir unsere Autos parkten. Die Brunnen lieferten in den Unterrichtspausen herrliche Abkühlung die allabentlich in ziemlich wilde und sehr sehr lustige Wasserschlachten übergingen.
8Nun haben wir uns neben den rein bodenkundlichen Themen auch mit daran anschließenden Themen wie der unterschiedlichen Landnutzungsformen innerhalb der verschiedenen Agrarlandschaftstypen, der Berglandwirtschaft, dem Wytweidesystem im Jura, dem landwirtschaftlichen Strukturwandel und seinen Auswirkungen auf z.B. Biodiversität oder politische Maßnahmen u.a.m. beschäftigt, aber aus gegebenem Anlass auch mit den Auswirkungen des Klimawandels auf den Alpenraum sowie dem dadurch bedingten aktuellen Föhrensterben im Wallis. Gerade die inneralpinen Trockentäler, wie z.B. das Rhône Tal und seine Seitentäler, sind vom Klimawandel insofern stark betroffen, als die Trockenheit durch noch geringere Niederschläge weiter zunehmen wird. Wenn man ferner bedenkt, dass der größte Anteil des Trinkwassers für den gesamten Alpenraum sowie für die den Alpen vorgelagerten Gebiete von den Gletschern und den im Sommer abschmelzenden Schneefeldern kommt, fällt es nicht schwer, sich das katastrophale Szenario infolge der rasant abschmelzenden Gletscher vorzustellen: die Flüsse versiegen ganz einfach.
Nun war es just an unserem großen Exkursionstag ins Wallis so, dass die Brunnen kein Wasser führten, als wir am Abend nach Hause kamen. Durstig standen wir vor leeren Brunnen und aus den Wasserhähnen kam kein Tropfen Wasser! Auch wenn wir das Glück hatten, dass die Wasserversorgung wegen eines Rohrbruchs im Dorf letztendlich nur für wenige Stunden eingestellt werden musste, konnten wir am eigenen Leibe so richtig spüren was es heißt, wenn man Durst hat, aber kein Wasser mehr fließt.
Nun soll der Bericht nicht mit diesem Schreckensszenario enden, wobei es schon notwendig ist, dass wir die real auf uns zu kommenden Folgen der rasanten Erderwärmung im Blick haben, nur lähmen darf es uns nicht. Und es muss es auch nicht. Denn gerade mit den erarbeiteten Kenntnissen zur Bodenentwicklung und der vielfältigen Maßnahmen die den Bodenaufbau fördern können, haben wir 9LandwirtInnen und GärtnerInnen die zwar herausfordernde aber zugleich wunderbare Möglichkeit, einen ganz entscheidenden Beitrag zur Erhaltung unserer Erde, im doppelten Sinne des Wortes, zu leisten.
Es war eine großartige Woche!
Dagmar Roßlenbroich und Elisa Wack